Zwischen Sondersiechen und betenden Hirten

von Helmut Lausser, Heimatverein Kaufbeuren

Bild von Andreas Schropp, 1846

Andreas Schropp dokumentiert die Lage der Kaufbeurer Hinrichtungsstätte

Bis zum späten Mittelalter war das Besiedelungsareal der Reichsstadt Kaufbeuren durch die Wertach begrenzt. Auch der Raum zwischen dieser und dem Mühlbach wurde erst im 18. Jahrhundert zuerst mit Färberhäusern und später entlang der Gutenbergstraße, die damals wegen des am Ende der Reichsstadtzeit östlich der Gaststätte „Tell“ angelegten neuen Schießplatzes noch als Schützen- oder Schießstattstraße bezeichnet wurde, mit Gartenhäusern und Villen der bürgerlichen Unternehmerschicht überbaut.

Bis zur Errichtung der St. Leonhards-Kapelle zu Beginn des 15. Jahrhunderts stand östlich der Wertach allein das Leprosen- oder Sondersiechenhaus mit seiner kleinen, dem hl. Dominikus geweihten Kirche. Das Haus der Sondersiechen jenseits des Wertach ist im Jahre 1316 erstmalig belegt und war zu diesem Zeitpunkt bereits mit dem ebenfalls noch außerhalb der Stadt gelegenen Spital zum Heiligen Geist verbunden. Wie das bis zur Mitte des 14. Jahrhundert von Augustiner-Eremiten betriebene Spital zum Heilgen Geist scheint auch das Leprosenhaus St. Dominikus ursprünglich eine klösterliche Einrichtung gewesen zu sein, dann kamen beide unter die Kontrolle und Verwaltung des städtischen Rates.

Die Anfänge von St. Dominikus sind nicht bekannt. Nach einem von Wolfgang Ludwig Hörmann in seiner Chronik ohne Quellenbeleg hinterlassenen Hinweis soll das Sondersiechenhaus bereits im Jahre 1182 errichtet und 1263 durch Bischof Hartmann von Augsburg dem Dominikanerorden übergeben worden sein. 1182 war Beuren noch eine Burgsiedlung im Herrschaftsbereich Herzog Welfs VI., die dieser nach dem Tode Heinrichs III. von Buron im Jahre 1167 an sich gezogen hatte. Erst eine Generation später begannen die Staufer mit der Umgestaltung des alten Buron zur ummauerten Stadt. Im Mittelalter war es üblich, Personen mit den damals meist unheilbaren Krankheiten, deren Ansteckungsrisiko bekannt war, aus der Gemeinschaft auszugrenzen und außerhalb der Siedlungen in eigens dafür geschaffenen Einrichtungen unterzubringen. Die Pflege der Betroffenen war Sache von Ordensgeistlichen und anderen Personen, die sich der christlichen Nächstenliebe verpflichtet fühlten. Da die auf diese Weise entstandenen klosterähnlichen Gemeinschaften in besonderer Weise des geistlichen Trostes bedurften, erhielten sie in aller Regel eigene Gotteshäuser, die oft auch räumlich miteinander verbunden waren. Das ursprünglich gotische Kirchlein wurde im Jahre 1709 im barocken Stile überarbeitet und sein bis dahin spitzer Turm mit einer Zwiebelhaube gekrönt. Seine äußere Form behielt es bis heute, auch wenn es in den 20er Jahres des 20. Jahrhunderts zur Kriegergedächtnisstätte umgestaltet wurde. Verschwunden ist allerdings der bei Schropp noch erkennbare ummauerte kleine Friedhof westlich des Turms.

Die südöstlich von St. Dominikus nahe der Hirschzeller Straße gelegene Hirtenkapelle St. Leonhard war schon fast 40 Jahre vor der Entstehung des Schropp’schen Aquarells im Jahre 1846 abgebrochen worden und wurde von ihm wie die ebenfalls auf diesem Bild sichtbare Kaufbeurer Hinrichtungsstätte aus dem Gedächtnis rekonstruiert. Stifter und Erbauungszeit der im spätgotischen Stil errichteten Kapelle des Patrons der landwirtschaftlichen Nutztiere und der Strafgefangenen, sind nicht bekannt. Sie bot vor allem den städtischen Hirten einen Raum zur stillen Einkehr. Überliefert ist jedoch ihre im April 1415 im Auftrag des Augsburger Gegenbischofs Friedrich von Grafeneck durch den Augustiner-Eremiten Hermann Wetzler, Titularbischof von Nikopolis in Bulgarien, vorgenommene Weihe. Sämtliche bekannten Abbildungen von St.Leonhard sind Nachzeichnungen nach der von Ernst Tobias Hörmann 1699 geschaffenen Vogelschau-Ansicht der Reichsstadt Kaufbeuren, die letztlich nicht erkennen lässt, ob die von Osten dargestellte Kapelle einen spätgotischen 5/8-Chor zeigt oder eine Rundform hatte.

Ebenfalls schon bei Ernst Tobias Hörmann findet sich zwischen St. Dominikus und St. Leonhard das gemauerte, runde Podium der Kaufbeurer Hinrichtungsstätte. Von diesen hatte die 1418 von König Siegmund mit dem Blutbann begabte Reichsstadt zwei. Während der Galgen bei St. Thomas auf dem Areal des heutigen Bezirkskrankenhauses gleichzeitig eine abschreckende Grenzmarkierung gegenüber der seit 1551 dem Fürststift Kempten unterstehenden Herrschaft Kemnat darstellte, war die Hinrichtungsstätte im freien Feld jenseits der Wertach Verstümmelungen und Enthauptungen vorbehalten. Öffentliche Hinrichtungen waren im Mittelalter und der frühen Neuzeit große Schauspiele mit Volksfestcharakter, zu denen Hunderte, mitunter viele Tausende von Zuschauern zusammenströmten, um die Delinquenten zu sehen und den Sieg der Gerechtigkeit mitzuerleben. Die letzte Hinrichtung mit dem Schwert in Kaufbeuren wurde 1798 an dem Mörder und Brandstifter Andreas Schweyer vollstreckt. Schon wenig später zog das Königreich Bayern die Kriminalgerichtsbarkeit an sich. Galgen und Richtstätte wurden abgebrochen.

 

Text: Helmut Lausser

Bild: Andreas Schropp - Eine Liebe in Bildern, S. 52, Nr. 33

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors
11.November 2020

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